Am 21.12.2021, schrieb Hermann Nitsch:
liebe andrea,
ich bin sehr beeindruckt …
die offenheit, meine arbeit zu verstehen, ist dir sichtlich gelungen.
ich freue mich sehr……
dein
hermann nitsch
„Ohne Provokation gibt es keinen Schöpfungsakt, weil Neues immer provoziert“ (Hermann Nitsch)
Schon als Kind durfte ich Hermann Nitsch kennenlernen, der bei meiner Mutter öfters auf Besuch war. Unsere gemeinsame Liebe zur Orgel, hat uns im späteren Alter weiterhin verbunden, speziell als ich ihm meine Erfindung der ersten transportablen Pfeifenorgel, mit Europapatent, in Prinzendorf vorstellen durfte.
Mich faszinierte Hermann Nitsch große persönliche Stärke, nämlich seinen einzigartigen künstlerischen Weg zu gehen – egal, was gesagt wird, egal wie sehr er angefeindet wird. Er hatte seine Vision, seine Intention und blieb seinen Überzeugungen treu. Dafür habe ich ihm bewundert und folge heute diesem Beispiel in meiner Kunst.
War es früher meine persönliche Liebe und Leidenschaft zur Musik, die mich meinen Beruf als Konzertorganistin, Pianistin und Pädagogin ergreifen ließ, so hat sich daraus im heute die Berufung entwickelt, mit meinem künstlerischen und pädagogischen Tun im Menschen eine innere Transformation bewirken zu wollen. Dass dies möglich ist, ist meine tiefste Überzeugung - aus Erfahrung. Dass dies der eigentliche und verloren gegangene Sinn der Künste ist, nämlich archaische Vermittler zu sein, lässt sich aus der Historie belegen.
Hier wurde für mich das einzigartige Lebenswerk von Hermann Nitsch wegweisend. Sein Gesamtkunstwerk weckt im Menschen archaische, archetypische Muster und führt diese zur Transformation. Verdrängte, tabuisierte Themen werden durch seine Werke angestoßen und in Erinnerung gerufen. Diesem Umstand verdankte Hermann Nitsch in vielen Jahren seiner Karriere, Anfeindungen bis hin zu polizeilichen Anzeigen und gesellschaftliches
Unverständnis.
Warum?
„Wer sieht gerne seinen Schatten?“
Doch sich den eigenen Schatten zu stellen, ist der einzige Weg zur Bewusstseinserweiterung und zur inneren Transformation.
Die wahre Aufgabe von Kunst, ist dem Menschen dabei den Weg zu bereiten.
Hermann Nitsch sagte dazu:
„Alle große Kunst ist Therapie. Kunst ist ein großes Lebenselixier und daher therapeutisch. Ich fasse meine Kunst therapeutisch auf.“
Es sollten Jahrzehnte - mit einem gesellschaftlichen Bewusstseinswandel – vergehen, bis Hermann Nitsch weltweiten Ruhm erlangte und nun posthum sein Werk auch kirchliche Anerkennung erhielt.
Angeregt durch seine Bilder und seiner Aktionskunst, entwickelte ich eine neue Herangehensweise für die Interpretation von Kompositionen, Improvisation und Pädagogik. Man könnte es fast so beschreiben, als würde die Musik jetzt durch mich fließen und ich könnte sie fühlen und hören, wie sie sich in mir neugestaltet und entwickelt.
In dieser Art entstanden 2020 von mir Improvisationen zu 3 seiner Bilder aus dem Auferstehungs-Zyklus. Diese Bilder haben mich besonders angesprochen und ich habe sie in einem Improvisationszyklus 2021 veröffentlicht.
INCARNATION – Kosmische Reise und Erdung in Gaia
PASSION – Tod und Transformation
RESURRECTION – Heilung durch die Neue Welt
Albert Schönberger Domorganist MAINZ a.D. – PASSION und TRANSFORMATION
30.12.2021
Liebe Andrea, danke für dieses sehr berührende Gedenken der, die an und durch Corona ihr Leben lassen mussten. Deine improvisierten Klangbilder nehmen uns hinein in das Leid derer und stimmen nachdenklich, aber auch hoffnungsvoll im Sinne der Erinnerung, dass wir das Leben, unser Leben in Höherem sehen dürfen. Das Licht am Ende Deiner fein dosierten Improvisation verströmt den Frieden, den wir alle am Ende erwarten dürfen. Umgekehrt sind wir gehalten, unser Leben mit mehr Licht zu leben. Lautes Gebrüll, Hasstiraden und Zwietracht in solchen Herausforderungen, nicht nur medizinisch gesehen, zerstören es nur. Das Leben ist kostbar, tun wir etwas dafür. Danke für Deine helfenden Töne in Deiner wunderbaren Orgelimprovisation. Liebe Grüße, Albert