Blog Post

Musik in der Pädagogik des 21. Jahrhunderts

Andrea Pach • 8. September 2022

Erschienen im APS-Katalog der KPH Wien/Krems 2011/12

Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie einen Menschen als harmonisch, in seiner Mitte ruhend, erleben und Sie sich in seiner Anwesenheit besonders wohl fühlen? Oder, dass Sie ein hervorragendes Menü in einem Restaurant genießen oder eine neue Duftmischung schnuppern und anschließend meinen „dass ist eine außergewöhnliche Komposition“?

In unserem Alltag benützen wir mit Selbstverständlichkeit musikalische Begriffe zum Ausdruck von Befindlichkeiten und erleben permanent in Interaktionen das musikalische Grundprinzip der Resonanz (re-sonare=zurücktönen). Musik ist Teil des Lebens! Nur nicht im Schulleben – da ist sie ein einzelnes Fach!

Bitte begleiten Sie mich kurz bei einem Experiment und stellen Sie sich Ihren Alltag ganz ohne Musik vor – Jetzt – —- das wäre sehr eintönig und farblos, oder? Bitte stellen Sie sich Ihren Alltag ohne rhythmische Struktur vor – —— wäre das nicht Chaos? Und jetzt stellen Sie sich bitte Ihren Alltag ohne Ihren persönlichen inneren Rhythmus vor – das wäre schmerzvoll und führt zur seelischen und organischen Disharmonie.

Musik lässt uns lernen fürs Leben – dafür ist aber die Voraussetzung, dass sie entsprechend im Schulalltag eingesetzt wird und nicht nur als Randerscheinung bei Festivitätenwillkommen ist, oder im besten Falle (!) durch gelegentlich Singen eines Liedes. Professionelle Instrumentalisten und Sänger wissen um diese Transfereffekte die uns zur Ganzheitlichkeit, zur Selbstwahrnehmung und damit zur Persönlichkeitsentwicklung (per- sonare=durchtönen) führen, die aber nur durch regelmäßiges aktives Musizieren und nicht durch Lernen über Musik oder Gruppenrasseln mit Geräuschinstrumenten entstehen. Musik ist nicht nur in der menschlichen Natur sondern im ganzen Universum verankert. Alles hat seine Frequenz, nur vieles können wir nicht hören. Sie verbindet sämtliche Disziplinen miteinander: Religion, Mathematik, Physik, Philosophie, Psychologie, Medizin, Bewegung, das Wort in seinem Klang, sie definiert die Zeit, sie füllt den Raum, sie lebt in den vielen Rhythmen der Natur, des Kosmos und des menschlichen Körpers, sie ist die abstrakteste Kunstform und lässt daher frei assoziieren und interpretieren, sie ist ewig variabel und beinhaltet die Farbpalette aller Frequenzen und Emotionen.

Dadurch ist es möglich, in jedem Fach gezielt durch Musik, gleichsam einem Riesen-Mind- Map Assoziationen zu anderen Fachgebieten und übergeordneten Werten (Sinngebung) herzustellen und diese durch musi(kali)sche Rituale und Emotion im Körper zu ankern. Vor allem die Sinngebung, die in letzter Konsequenz stets zur Spiritualität – zum göttlichen Ursprung – führt! Klang und Musik sind seit Anbeginn der Entwicklung der Menschheit Verbindungselemente zur Spiritualität. In diesem Sinne sind auch in jedem Unterrichtsfach die geführte Meditation und die „gefüllte Stille“ musika- lische Elemente. Die „gefüllte“, nämlich sinngebende Stille, die durch ein „in sich Hineinlauschen“ erfüllt wird und den inneren Klang zur höheren Ordnung, zur Harmonie führt. Wir wissen heute aus der Neurobiologie, dass der Gedanke an etwas Bestimmtes die Ausschüttung von entsprechender Biochemie im Gehirn und damit im Körper bewirkt. Gehirnforscher Gerald Hüther beschreibt, dass unser Gehirn über Emotionen lernt und die „Begeisterung für etwas“ (eig.Anm.= Sinngebung, Sehnsucht) den Grad der permanent plastischen Gehirnentwicklung bestimmt, dagegen negative Gefühle wie z.B. Ausgrenzung (eig.Anm.= Verlust des Urvertrauens) das Schmerzareal aktivieren und ein Verlangen nach Ersatzbefriedigung auslösen (im schlimmsten Falle z.B. Alkohol, Drogen).

Längere Wiederholung gleicher Gedanken führen zu neuronalen Vernetzungen, die zu bestimmten Verhaltensmustern mit emotionalen Erfahrungen führen – ein Kreislauf kommt ins rollen. Mit diesen Erkenntnissen, steht heute die Wissenschaft nicht mehr im Widerspruch, sondern bestätigt vielmehr Religion als Grundvoraussetzung für eine plastische Gehirnentwicklung im Sinne von Rück-Bindung an die Quelle (=religio).

Doch was sind eigentlich Gedanken?

Gedanken sind die Musik, der Klang in unserem Kopf und wir haben von Gott den freien Willen geschenkt bekommen über Harmonie oder Disharmonie selbst zu entscheiden, über unseren Urklang den wir als Teil des vernetzten menschlichen und universellen Orchesters – über das Prinzip der Resonanz – zum Nächsten weitergeben. Der Mensch ist göttliche Musik – der Körper sein Instrument – sein Geist die Inspiration – seine Stimme der Ausdruck davon!

(Als Ergänzung zum Fach Musikpädagogik – eine Pädagogik mit Musik, die ein neues Bewusstsein schafft für die Wirkung der Tonkunst im Spannungsfeld zwischen Heilung und Manipulation).

von Andrea Pach 11. Juni 2024
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von Andrea Pach 13. September 2022
Kreativität, was ist das eigentlich? In den letzten Jahren begegnet man diesem Begriff – als „Stein des Weisen“ – in den verschiedensten gesellschaftlichen Sparten wie Unternehmensberatung, Marketing, Coaching, Psychologie, Begabtenförderung, Begabungsforschung und in unterschiedlichsten Interpretationen sowie Ausprägungen im Bereich der Pädagogik. Kreativität sei des Rätsels Lösung zur Förderung des menschlichen Geistes, vor allem die Erweckung dieser Eigenschaft. Zahlreiche Techniken versprechen hierfür hilfreich zu sein wie z.B. für Gruppenaktivierungen die Provokationstechnik, Kartenabfrage, Semantische Kombinationen und Mind Map bis hin zur Technik des themenlosen Handelns, wie Malen zur Musik oder als „Geheimtipp“ die Empfehlung des Kopfstandes. Doch was nützt z.B. das am schönsten gezeichnete Mind Map ohne besondere Einfälle? Oder was bringt die beste Gruppenaktivierung in einer Gruppe mit geringem kreativem Potenzial? Enttäuschung ist oft die Folge. Was sind die Voraussetzungen, um überhaupt einen „Ein-fall“ haben zu können?Creare ist das lateinische Wort für Kreativität und gehört zum Wortstamm Creator – der Schöpfer. „Veni creator Spiritus“ (Komm Schöpfergeist) besingt der gregorianische Pfingsthymnus die Kraft der Kreativität und erklärt mit „mentes tuorum visita“ (besuche den Geist der Deinen) den Ursprung dieser faszinierenden Schöpferkraft. Weiters heißt es in der Bibel: “Ihr sollt sein, wie die Kinder“ – wie sind Kinder? Singend und tanzend in ständiger Bewegung suchen sie tönend nach ihrem Selbstausdruck. Wir stehen vor einer geballten Ur-Kreativität, die offensichtlich jeder Mensch, von Gott geschenkt, als Kind mitbringt und im Spiel – ein selbstvergessenes Tun, nach dem Prinzip von „trial and error“ – umsetzt. Thomas Alva Edison ist hierfür ein Beispiel eines Erwachsenen, der für sich diese Eigenschaft aus seiner Kindheit retten konnte, als er nach der 1000ten gescheiterten Glühbirne bloß meinte: „Jetzt weiß ich wenigstens, wie es nicht geht“ und fröhlich weiter experimentierte, also die gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse solange neu kombinierte, bis sie zum ersehnten gelungenen Ergebnis führten. Kann es sein, dass wir vielleicht die kindliche „Lust am Spiel“, im Prozess des Erwachsen werdens auf ein Erwachen des Geistes, als „Lust am Spiel mit den Gedanken“ lenken sollten? Das Spiel mit den Gedanken, die Fähigkeit zur freien Assoziation, ist Voraussetzung um Sinnbezüge zwischen – im ersten Augenblick – nicht zusammengehörenden Disziplinen herzustellen. Nur – dies setzt neben der Fähigkeit zur Assoziation voraus, dass etwas da ist, das wir assoziieren können. Also ein Überblick über wesentliches Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen vorhanden ist, demnach in der Schule ein ausreichender Speicher mit Vernetzung im Gehirn geschaffen wurde (mehr darüber im Artikel „Musik in der Pädagogik das 21. Jahrhunderts“). Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann der eigentliche Prozess von „creare“ – dem Schöpfen aus dem Vollen – beginnen. Wir blicken aus der Vogelperspektive auf ein Riesen Mind Map und knüpfen, je nach gestellter Aufgabe, die nötigen Verbindungen! Der kreative Prozess beginnt und benötigt einen Auslöser – die Sehnsucht nach einem Ziel und zwar nach sinnvollem schöpfungsgerechtem Neuen (Veni creator Spiritus) – der die Aufmerksamkeit bündelt und auf einen Focus lenkt – die Gedankenstille ist der Magnet für den Geistesblitz (mentes tuorum visita)! Kann es etwas Schöneres geben, als diesen Augenblick des „Ein- falls“, in dem uns Gott berührt?
von Andrea Pach 13. September 2022
Erschienen in der Festschrift des Diözesankonservatoriums Wien Warum mich Orgelspielen fasziniert? Ich war begeisterte Pianistin, als ich begann Orgel zu studieren und war erstaunt über dieses Instrument, denn „da war auf einmal so viel mehr.“ Nicht aufgrund der Macht der Klänge, nicht wegen des enormen Tonumfangs im Vergleich zum Klavier oder wegen der Komplexität der Werke. Selbstverständlich hat mich auch das alles an der Orgel fasziniert, aber da war noch ein ganz besonderer Aspekt: Ich hatte plötzlich das Gefühl, durch dieses Instrument beim Spielen in mir quasi „ganz zu werden“. Es faszinierte mich das Körpergefühl beim Spielen, eine Vollendung in der Harmonie der Bewegungsabläufe unter der Beteiligung des gesamten Körpers und dadurch besonders, dem heutigen Zeitgeist entsprechend, das Zusammenwirken von Körper, Geist und Seele. So ist für mich die Orgel nicht nur das „ganzheitliche Instrument“, sondern auch ein Instrument, das durch seine Komplexität interessante Themen der heutigen Forschung anspricht: Neurologische Forschungsergebnisse zum Thema Neuroplastizität haben aufgezeigt, dass Instrumentalisten nicht nur ein größeres Kleinhirn, das sich an der Bewegungskoordination beteiligt haben, sondern auch vergrößerte Areale in der Großhirnrinde. Speziell die Felder für die Kontrolle der Arm- und Fingerbewegungen sind ausgedehnter. Allerdings muss man hier unter den Instrumenten unterscheiden. Spannend ist, dass man von „Musiker-Gehirnen“ sprechen kann. Jedes Instrument produziert sein eigenes neuroplastisches Gehirn. Die beteiligten Universitäten berichten, dass alleine 20 Min. Klavierspielen pro Tag ein bereits deutlich sichtbares neuronales Wachstum bewirkt und bei Pianisten und Pianistinnen nicht nur die Arm-Areale, sondern auch die Motor-Areale der Finger der beiden Hände auffällig ausgebildet sind. Bei einem Geiger oder Geigerin dagegen sind das Arm- und Motor-Areal rechts ausgebildet und links nur das Arm-Areal. Bei Tänzern ist die Repräsentation der Beine und der Zehen deutlich ausgebildet. Wie sieht dann wohl das Gehirn eines Organisten oder einer Organistin aus? Als begeisterte Sängerin fasziniert mich auch die Verwandtschaft der Orgel zum Gesang. Sie werden sich jetzt fragen, worin hier eine Vergleichsbasis besteht? Wieder im ganzheitlichen Körpergefühl. Überlegen Sie bitte: Ein Organist oder Organistin braucht, um mit den Beinen frei über den Pedalen schweben und gleichzeitig mit den Fingern über die Tasten mehrerer Manuale flitzen zu können, eine innere Balance mit aufrechter Wirbelsäule und ebenso gefestigter Stütze, wie ein Sänger oder eine Sängerin. Eine dazu gezielt eingesetzte Atmung, entsprechend dem Spannungsverlauf der Musik, wäre vom Vorteil. So – in der Gesamtheit betrachtet – ist die Orgel nicht nur die Königin der Instrumente, sondern sehr viel mehr! Vielleicht gerade als Instrument mit dem größten Tonumfang und auch in ihrer Funktion als Orchestersatz ist die Orgel die Repräsentantin der Musik schlechthin. Jener Musik, die mit all ihren Frequenzen den Menschen zurückführt zu seiner ursprünglichen gottgegebenen Ganzheit, zur Genesung an Körper, Geist und Seele – eingebettet in tiefe Spiritualität. Was für ein wunderbares, wahrhaft göttliches – und dennoch oft verkanntes – Instrument.
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